Warum das Fusion Festival keine Polizeipatroullien braucht

GASTBEITRAG –Marco Lehmbeck 

Die Polizei erscheint im RĂŒckspiegel. Ich nehme die zweite Hand an das Lenkrad und drossele die Geschwindigkeit auf 45 km/h. Nicht, dass ich vorher zu schnell gewesen wĂ€re, aber sicher ist sicher. Die Polizei fĂ€hrt dicht hinter mir. Deutlich kann ich die GesichtszĂŒge der Beamten erkennen, in ihnen aber nichts lesen. Geht ein RĂŒcklicht nicht? Habe ich vergessen, den Blinker zu setzen? Ein Stop-Schild ĂŒberfahren? Ist mein TÜV aktuell? Bin ich angeschnallt? Ja, der Gurt sitzt fest. Die gelbe Ampel eben, war die ĂŒberhaupt noch gelb? Hatte ich in den letzten Minuten das Smartphone in der Hand? Es ist wie es ist: Sobald die Polizei hinter, vor oder neben mir fĂ€hrt, werde ich zu einem gehemmten Verkehrsteilnehmer. Nervös wie ein FahranfĂ€nger. EingeschĂŒchtert allein durch die AutoritĂ€t, die dem Amt eines Polizisten inne wohnt. Dass PolizeiprĂ€senz sich also negativ auf die Stimmungslage auswirken kann, obwohl man „nichts zu verbergen chat“, ist mir und vermutlich den meisten Privatpersonen durchaus gelĂ€ufig, auch wenn Neubrandenburgs PolizeiprĂ€sident Nils Hoffmann-Ritterbusch die KreativitĂ€t fĂŒr diese Annahme fehlt.

Worum geht’s?

Die zustĂ€ndigen Behörden verwehren dem Veranstalter des Fusion Festivals derzeit die nötige Genehmigung zur Ausrichtung des Festivals. Sie verweisen dabei auf sicherheitsrelevante LĂŒcken im Sicherheitskonzept. Je nach Quelle sind das zum Beispiel zu schmale Fluchtwege, eine nicht ausreichende Beleuchtung der NotausgĂ€nge oder die Forderung nach einer zentralen Beschallungsanlage, ĂŒber welche die Besucher bei Gefahrenlage informiert werden können. Letztere Forderung ist mir bei einem Festival mit weit mehr als 30 beschallten BĂŒhnen, die zu Informationszwecken genutzt werden können, zwar ohnehin etwas suspekt, jedoch will ich die Forderung nach gewissen Sicherheitsbestimmungen hier nicht kleinreden. Sicherheit ist wichtig, Menschen mĂŒssen vor Gefahren geschĂŒtzt werden.

ABER:

Der ausrichtende Veranstalter, der Kulturkosmos MĂŒritz e.V., hat bereits lĂ€ngst verlautbaren lassen, dass er nahezu alle erforderlichen Maßnahmen des Behördenkataloges bis zum Festival umsetzen wird. So ist es in der Veranstaltungsbranche auch Gang und GĂ€be: Ein Sicherheitskonzept wird eingerecht. Die Behörden fordern Verbesserungen. Man erlĂ€utert, warum bestimmte EinwĂ€nde nicht umzusetzen sind und trifft sich schließlich mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter in der Mitte.

Mir mag mein einleitender Polizei-fĂ€hrt-hinter-mir-Whataboutism verziehen sein, aber letztlich bediene ich mich des gleichen metaphorischen Werkzeugkastens wie es am Dienstag auf der Pressekonferenz von links nach rechts die Herren und Damen Peter Handsche (Leiter des Ordnungsamtes Mecklenburgische Seenplatte), Marlen Siegmund (Leiterin des Ordnungsamtes Röbel-MĂŒritz), Andreas Sprick (BĂŒrgermeister der Stadt Röbel), Heiko KĂ€rger (Landrat Mecklenburgische Seenplatte) und eben erwĂ€hnter Nils Hoffmann-Ritterbusch (PolizeiprĂ€sident Neubrandenburg) taten, als sie das Fusion Festival wechselweise mit dem Rock am Ring (Unwetterkatastrophe!), der Loveparade (Massenpanik!), dem Tomorrowland (BĂŒhnenbrand!) oder sogar – leider kein Scherz – mit Notre Dame (Dachstuhlbrand!) verglichen. Zwar ist die Fusion noch keine 856 Jahre alt, aber immerhin gab es seit 1997 in 21 Festivalepisoden nahezu keine nennenswerten sicherheitsrelevanten ZwischenfĂ€lle. In der am Dienstag abgehaltenen Pressekonferenz zogen sich die zustĂ€ndigen Behörden daher auf apokalyptische „Aber was wĂ€re, wenn…“-Szenarien zurĂŒck.

Also was wÀre denn, wenn 
 ?

BĂŒhnenbrand? Die Feuerwehr ist – wie auch der Rettungsdienst – selbstverstĂ€ndlich auf dem FestivalgelĂ€nde vertreten. Wie ich aus der heutigen Pressekonferenz des Kulturkosmos e.V. erfahren habe, ist offenbar auch ein Kriseninterventionsteam der Polizei stets vor Ort. Massenpanik? Die Fusion ist – entgegen des UnglĂŒckstunnels der Duisburger Loveparade – ein etwa 150 Hektar großes offenes Feld mit Aus- und EingĂ€ngen in alle Himmelsrichtungen. Und weil ich selbst schlecht in mathematischen Dimensionen denken kann: Das sind circa 210 Fußballfelder oder auch – um beim Thema „Veranstaltung“ zu bleiben – die dreifache FlĂ€che vom Oktoberfest, welches pro Tag durchschnittlich 365.000 GĂ€ste besuchen. Bei der Fusion sind es bis zu 100.000 Besucher, also weniger als ein Drittel der Oktoberfest-Besucher auf einer FlĂ€che, die gleichzeitig dreimal so groß ist. Das lĂ€sst auch die Gefahr einer von Landrat Heiko KĂ€rger ins Spiel gebrachten – leider ebenfalls kein Scherz – Durchfallepidemie (Norovirus!) Ă€ußerst gering erscheinen.

Ach ja, und den Terror nicht vergessen (Ansbach!)

Wir leben ja in Zeiten des Terrors. Die Zeiten haben sich geĂ€ndert. „Es ist nicht mehr wie vor drei oder vier Jahren!“ Da braucht es Schutz. Ein Terrorist mĂŒsse mit seinem Sprengstoffrucksack ja erstmal an seinen Mannen vorbei, sagte PolizeiprĂ€sident Hoffmann-Ritterbusch, vergaß dabei aber, dass er wenige Minuten zuvor beinahe empört beschwichtigte, auf keinen Fall in jedes Zelt und jeden Rucksack gucken zu wollen. Das wĂ€re auch Quatsch, denn die An- und Abreisenden werden ja ohnehin schon ausgiebig gefilzt. Aber langsam nĂ€hern wir uns dem eigentlich Knackpunkt dieser Sicherheitsdebatte: Die Forderung einer stationĂ€ren Einsatzwache auf dem FestivalgelĂ€nde sowie die permanente Bestreifung der VeranstaltungsflĂ€che. Gleichermaßen Wunschtraum des PolizeiprĂ€sidiums wie rotes Tuch seitens der Veranstalter. Letzterer hat nĂ€mlich deutlich gemacht, dass dies den Veranstaltungscharakter der Fusion untergrĂ€bt und er mit Hinweis auf die positive Sicherheitsbilanz fĂŒr die Einrichtung einer Polizeiwache keine Notwendigkeit sieht.

Ist dem so?

Durchschnittlich 2,5 Straftaten werden laut Veranstalter pro Fusion Festival zur Anzeige gebracht. In einer anderen Quelle gibt eine Polizeisprecherin diese Zahl mit etwa 20 Straftaten an. Jede Straftat ist sicher eine zu viel, doch selbst 20 ist eine verschwindend geringe Zahl. Um erneut den Vergleich mit dem Oktoberfest zu bemĂŒhen: Dort wurden 2017 ganze 1161 Straftaten gezĂ€hlt – trotz 600 polizeilicher EinsatzkrĂ€fte, trotz Taschen- und Rucksackverbot, trotz 37 festinstallierten Überwachungskameras. NatĂŒrlich, das Oktoberfest dauert 16 Tage, doch allein am mittleren Wiesn-Samstag kam es zu 216 EinsĂ€tzen, was – je nach Quelle – dem etwa 10 bis 100fachen der gezĂ€hlten Straftaten auf der gesamten Fusion entspricht.

Nils Hoffmann-Ritterbusch sprach im Vorfeld und auch auf der Pressekonferenz wiederholt davon, dass man sich lediglich an bundeseinheitlichen Sicherheitsstandards fĂŒr Großveranstaltungen orientieren wĂŒrde. Meinen tut er damit einen sogenannten Orientierungsrahmen fĂŒr Großveranstaltungen wie ihn beispielsweise Nordrhein-Westfalen hat. Mecklenburg-Vorpommern hat solch eine Regelung nicht. Es gelten lediglich VersammlungsstĂ€ttenverordung (VstĂ€ttVO) und das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG). FĂŒr diese ist jedoch in erster Linie das Land Mecklenburg-Vorpommern zustĂ€ndig und weder in der VstĂ€ttVO noch im SOG ist meines Wissens eine permanente PolizeiĂŒberwachung zwingend vorgeschrieben. Auf die Nachfrage eines Reporters, worin die genauen Gefahren denn bestehen wĂŒrden, antwortete Hoffmann-Ritterbusch, „Das könne man so nicht beantworten.“ Auch die drei eilig hervorgebrachten VergewaltigungsfĂ€lle aus den Jahren 2014, 2016 und 2018 stellten sich auf der Pressekonferenz als nicht haltbare Nebelkerzen heraus.

Blieben noch die Dunkelziffern

Schließlich wĂŒrden viele der Straftaten vermutlich nicht zur Anzeige gebracht werden, weil die Polizei nicht zu deren AufklĂ€rung beitragen kann. Doch auch das ist falsch. Nicht nur, weil auch eine Polizeianwesenheit keine 100%ige AufklĂ€rungsquote verspricht, sondern auch weil die Dunkelziffer jedes anderen Festival ebenfalls wesentlich höher ausfallen dĂŒrfte, als deren verlautbarte Hellzahlen. Von Seiten der Behörden wird zudem der Eindruck vermittelt, dass der Veranstalter der Polizei den Zugang zum GelĂ€nde gĂ€nzlich verwehrt. Laut Veranstalter jedoch, wurde die Polizei in den vergangenen Jahren bei konkreten VerdachtsfĂ€llen oder Notsituationen sehr wohl auf das GelĂ€nde gelassen. Der Kulturkosmos MĂŒritz e.V. machte außerdem deutlich, dass dies auch weiterhin selbstverstĂ€ndlich der Fall sein wird und bot als Kompromissvorschlag an, die geforderte Wache unmittelbar neben der VeranstaltungsflĂ€che zu installieren. Durch diesen Zugang von Außen wĂ€ren die Beamten wenn ĂŒberhaupt nur unwesentlich langsamer, als bei einer zentralen Wachstation. Die Polizei besteht jedoch auf uneingeschrĂ€nkten Zugang zur FlĂ€che. Auch wenn das PolizeiprĂ€sidium es ungern so betitelt, handelt es sich dabei um nichts anderes, als die Forderung nach anlassloser Kontrolle.

„anlasslos“ ist das Wort, mit dem die Debatte kippt

Dass die Polizei nun ausgerechnet eines der friedlichsten Festivals mit Verweis auf Sicherheitsbedenken unter die Lupe nehmen will, ist fadenscheinig. Zumal es in den Vorjahren auch keine nach Außen ersichtlich gewordenen grundlegenden Bedenken gab. „Ein Fehler, den man nicht korrigiert, ist der zweite.“, sagte Hoffmann-Ritterbusch dazu. Hoffmann-Ritterbusch ist erst seit 2016 im besagten Amt des PolizeiprĂ€sidenten. Eine Hohlphrase also, die die Arbeit von Sicherheitsbehörden der vorangegangenen Jahre und damit auch die Arbeit seiner VorgĂ€nger der LĂ€cherlichkeit preisgibt. Er selbst gibt derweil an, sich ĂŒber YouTube-Videos ein Bild vom Festival gemacht zu haben. Ein zusĂ€tzliches GeschmĂ€ckle entsteht durch die vom PolizeiprĂ€sidium Neubrandenburg letzte Woche getĂ€tigte Aussage, dass nach polizeilichen Auswertungen davon auszugehen sei, dass „eine Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen“ zu erwarten ist. Wie er vor dem Hintergrund der positiven Sicherheitsstatistik auf diese Idee kommt, lĂ€sst Hoffmann-Ritterbusch in der Pressekonferenz durchscheinen:

Der Veranstalter hĂ€tte ihm gegenĂŒber deutlich gemacht, dass eine PolizeiprĂ€senz unkalkulierbare Dynamiken unter den Festivalbesuchern auslösen könne. Hoffmann-Ritterbusch verfolge außerdem den Festival-Newsletter und hĂ€tte von einem Flaschenwurf gelesen, der das Aggressionspotential von Teilen der Veranstaltungsbesucher erahnen lĂ€sst. Aha. Gemeint war der – sicher fragwĂŒrdige – antisexistische Protest beim DJ-Set von Konstantin (Giegling) als Reaktion auf dessen – ebenfalls fragwĂŒrdige – Interview-Aussagen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Es schwingt leider der Eindruck mit, dass dem PolizeiprĂ€sidenten der fehlende Zugang zum Festival und damit der beschrĂ€nkte Einflussbereich generell ein Dorn im Auge sind. Warum dem so ist, darĂŒber möchte ich nicht spekulieren. Die Kriminalstatistik kann es jedoch nicht sein. Überhaupt ist hier ein seltsames Paradox zu beobachten, nĂ€mlich dass sich die Polizei zu PrĂ€ventionszwecken an einen Ort wĂŒnscht, an dem es nach jetzigem Stand keine Gefahren zu vereiteln gibt. Absurder sogar noch, wenn man bedenkt, dass erst die Anwesenheit der Polizei so viel Unmut auslösen könnte, dass es ĂŒberhaupt zu ZwischenfĂ€llen kommt. Schließlich ist die Fusion immer noch ein linksalternatives Festival, dem unter anderen auch verschiedenste politische Aktionsgruppen angehören. Salopp gesagt: Die Polizei will Straftaten verhindern, indem sie dort hingeht, wo sie Straftaten auslösen könnte.

Wie der BĂŒrgermeister von Mirow, Henry Tesch, in der Pressekonferenz des Kulturkosmos MĂŒritz e.V. am heutigen Mittwoch völlig richtig erwĂ€hnte, entsteht durch das unnötige Einschreiten des PolizeiprĂ€sidenten erst eine aufgeheizte Debatte, deren Folgen fĂŒr die Region zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar sind. Den Flurschaden wird bei einem Festivalausfall allerdings die Region ausbaden mĂŒssen, die ĂŒbrigens ziemlich geschlossen hinter dem Festival steht. Nicht nur was den Unmut aller Fusion Festival-AnhĂ€nger angeht, sondern auch in Bezug auf den Ärger ĂŒber den Verlust ĂŒber Jahre gewachsener kultureller und wirtschaftlicher Strukturen der Landkreise MĂŒritz und der Mecklenburgischen Seenplatte und dem Land Mecklenburg-Vorpommern im Allgemeinen.

Diese Region lebt vom Tourismus und leidet unter Landflucht und demografischem Wandel. Ein (jugend)kultureller Leuchturm wie das Fusion Festival ist daher ein großes Geschenk. Wenn ich mich – wie kĂŒrzlich geschehen – auf einer vietnamesischen Insel auf der anderen WelthĂ€lfte mit einer Brasilianerin ĂŒber meine 21.000 Einwohner-Heimatstadt Neustrelitz unterhalten kann, dann liegt das schließlich nicht etwa daran, dass der Bariton der Schlossgartenfestspiele im Zigeunerbaron sein Tremolo so wunderschön aufgefĂŒhrt hat, sondern daran, dass sie am Neustrelitzer Hauptbahnhof in den Shuttle-Bus zum Fusion Festival umgestiegen ist.

Zu recht mögt ihr euch jetzt fragen, warum mich diese Sache so bewegt, dass ich mir die MĂŒhe mache, dieses Pamphlet hier in eure Timelines zu drĂŒcken.

Die Antwort ist einfach: Seit 2006 habe ich keine Fusion verpasst. Ich habe dort Freundschaften geknĂŒpft und haufenweise positive Erinnerungen gesammelt. Ich bin ihr emotional verbunden. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich im landschaftlich zwar wunderschönen, jugendkulturell jedoch leider etwas tristen Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit hatte, musikalische, performative oder sonst wie geartete internationale Kunst- und Kulturprogramme wahrzunehmen. Das Fusion Festival hat meinen Horizont erweitert, meine Toleranzbereitschaft gestĂ€rkt und meine Offenheit geprĂ€gt, die mich zu einem optimistischen und angstfreien EuropĂ€er werden ließ. Dass das im aktuellen Zeitgeschehen wichtig ist, brauche ich sicher nicht ausfĂŒhren. Die Fusion leistet damit jedenfalls einen aktiven Beitrag zur Vermittlung fundamentaler Werte des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Die Fusion ist ein Teil meiner Persönlichkeitsentwicklung und geht mich demzufolge auch persönlich etwas an.

Die Fusion hat jahrelang vorgelebt, dass ein friedliches, tolerantes und buntes Miteinander möglich ist. Die wichtigste Errungenschaft dabei ist, dass sie ĂŒber die Jahre auf eigene Weise eine AtmosphĂ€re der Akzeptanz und Awareness geschaffen hat, die sich nicht an Ordnerzahlen, Sicherheitskontrollen oder PatrouillengĂ€ngen messen lĂ€sst. Der Sicherheitsapparat wurde durch eine soziale IdentitĂ€t ersetzt. Per Selbstdefinition versteht sich die Fusion als ein Freiraum, in dem jeder Willkommen ist, solange er sich an die Spielregeln der Gruppe hĂ€lt. Die Identifikation mit der Gruppe und der Zugehörigkeitswunsch der Festivalbesucher sind hierbei mittlerweile so ausgeprĂ€gt, dass mögliche Übertretungen gruppeninterner Normgrenzen bereits verhindert werden, bevor sie ausgelebt werden können. Verkitscht könnte man von einem „Fusion-GefĂŒhl“ sprechen, welches trotz Pathos ein reales, harmonischeres und freieres Miteinander bietet, aber dieses auch von jedem Besucher aktiv einfordert. So manifestiert das Fusion Festival eine utopische Ordnung, welche unsere Realgesellschaft derzeit noch nicht in der Lage zu liefern ist.

Ja, richtig! – ein Festival ist eine Spaßveranstaltung und kein Gesellschaftsmodell.

Stellt sich allerdings die Frage: Warum dann dem Ernst des Lebens die TĂŒr zu der Spaßveranstaltung öffnen, wenn es bisher auch ohne geht? Hoffmann-Ritterbusch hat es in der Pressekonferenz selbst gesagt: „PrĂ€senz hemmt.“ Ich möchte einfach nicht, dass mir die Polizei beim Tanzen auf die FĂŒĂŸe guckt. Ich möchte auch nicht, dass sie mich und meine Freunde wie eine Aufsichtsperson beim Feiern begleitet. Und schon gar nicht möchte ich von Polizisten beobachtet werden, wenn ich mit meinem fragwĂŒrdigen Schamanenhut und Glitzerleggins morgens in den Seilen der Bachstelze hĂ€nge. Wenigstens fĂŒr diese vier, fĂŒnf Tage möchte ich mir um die unangenehmen Dinge keine Sorgen machen.

Ich muss an der TurmbĂŒhne nicht meine SteuererklĂ€rung einreichen oder beim Gang in den Kinohangar meine SĂŒĂŸigkeiten in der Hose verstecken. Ich muss nicht darauf achten, wie ich aussehe oder mich kleide. Ich könnte stattdessen sogar nackt herumspazieren. Das tue ich nicht, doch wenn ich wollte, könnte ich es. Splitternackt. Das kann man gut finden oder nicht. Und genau darum geht es. Es steht mir frei, zu tun, was ich will. Zu sein, wer ich sein will. Ich werde nicht „toleriert“, sondern „akzeptiert“. Das ist das Erfolgsrezept der Fusion.

In einem langjĂ€hrigen Prozess wurden die gesellschaftlichen Normen unserer RealitĂ€t innerhalb des Fusion-Mikrokosmos verschoben, sie wurden dort, wo sie Freiheiten beschrĂ€nkten (IdentitĂ€t, SexualitĂ€t, …) verabschiedet, und dort, wo es lĂ€ngst notwendig war (Sexismus, Intoleranz, Rassismus, …) wurden rote Linien gezogen. Hinsichtlich eines besseren Zusammenlebens ist das Fusion Festival damit unserem Alltag um LĂ€ngen voraus. Das ist eine Leistung dieses Festivals und seiner Besucher. Das ist eine Leistung, die Anerkennung verdient und keine Repressalien. Das ist eine Leistung, die sich obendrein in dem bereits erwĂ€hnten Fabelwert von durchschnittlich lediglich 2,5 (!) zur Anzeige gebrachten Straftaten pro Festival widerspiegelt.

Das Fusion Festival ist eine funktionierende, wenn sicher auch etwas vertrÀumte Parallelwelt, eine Blase die zerplatzt, wenn man versucht die Realgesellschaft in ihr Inneres zu lassen, dessen representative Gestalt nicht symbolischer ausfallen könnte, als eine Patrouille in Polizeiuniform. Darum, Herr Hoffmann-Ritterbusch, möchten so viele Menschen nicht, dass ihre Behörde das GelÀnde betritt.
Wir möchten nicht, dass Sie mit einem Nadelstich unsere Blase zerstören.

2 Gedanken zu „Warum das Fusion Festival keine Polizeipatroullien braucht“

    1. Ja, so sehe ich das leider auch. Alle FreirÀume zerstören im Namen der Sicherheit. Besonders linke RÀume. WÀhrend man auf dem rechten Auge blind ist.

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