Vom „stark sein“ und Gefühlen

„Aber du wirkst immer so stark, das kann ich mir gar nicht vorstellen!“ „Tut mir leid, dass ich Dir zu Nahe getreten bin, Du wirkst aber immer so stark!“ „Ach, Du bist Hochsensibel, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Das passt nicht zu Dir! Das merkt man Dir gar nicht an, Du wirkst immer so stark!“  „Ach, tue doch nicht so, Du bist stark, Du schaffst das easy!“ 

Das und vieles mehr, habe ich in letzter Zeit immer wieder gehört. Sei es, nachdem ich zugegeben hatte, wie sehr mich die „Trennung“ von meinem letzten Liebhaber mitgenommen hatte, oder das Thema mit meinen Eltern. Anscheinend hat man das Gefühl, wenn Menschen „stark“ sind, haben sie keine Gefühle, haut sie nichts aus der Bahn.

Ich sollte euch heute eigentlich von meiner letzten Reise berichten, aber das heutige Thema geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Denn all diese Menschen, die denken man hätte keine Gefühle oder hätte nicht das Recht, auch mal Gefühle zu zeigen, oder ich mal deprimiert und überfordert zu sein, weil man ja sooooo stark ist gehen mir langsam, aber sicher auf den Wecker. Auch starke Menschen, möchten einfach mal in den Arm genommen werden! Ohne Abwertung ihrer Gefühle.

Stark sein, was bedeutet das eigentlich?

Immer geduldig sein? Der ruhige Fels in der Brandung sein, komme was wolle? Immer die Contenance bewahren? Schwere Gewichte heben können? Oder keine Gefühlsregung haben? Niemals weinen? Gefühlskalt sein? Niemals überfordert? Immer einen Masterplan zu jeder Situation haben?

Für mich persönlich bedeutet stark sein:

Seinen eigenen Weg gehen, egal was andere davon halten. Eine eigene Meinung haben. Immer einen Weg finden, zu jeder Herausforderung. Sich nie unterkriegen lassen, authentisch sein. Gefühle haben, sie zeigen und sich entschuldigen können, wenn man einen Fehler gemacht hat. Konsequenzen tragen können und zu seinen Fehlern stehen. Stark sein, bedeutet für mich positiv zu sein in der Hoffnung, dass alles gut wird. Es bedeutet für mich, sich auf Neues einlassen zu können, trotz schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit. Immer wieder aufstehen, wenn einen das Leben aus der Bahn wirft.  Es bedeutet für mich, los lassen zu können, nach vorne zu sehen in die Zukunft und doch in der Gegenwart zu leben.

Und ja, auch starke Menschen weinen mal oder sind wütend

Nur, weil ich stark bin, bedeutet das nicht, dass ich niemals weine, oder wütend werde oder gar ausfallend (Mein innerlicher Klaus Kinski applaudiert gerade!) Und wie alle anderen Menschen, möchte ich auch nur mal in den Arm genommen werden und getröstet werden, wenn es mir nicht so gut geht. Ja, auch wenn ich manchmal eine Eisprinzessin bin, ich habe es eben niemals anders gelernt. Gefühle waren bei uns Zuhause verpönt. Es kam ja auch niemand damals und nahm mich in den Arm, bis auf ein paar seltene Ausnahmen (meine Paten, Freunde) Nicht mal, als Freunde von mir starben, einer nach dem anderen, als ich in der Pubertät war. „Wir müssen alle mal sterben!“ Das war alles was meine Mutter damals dazu zu sagen hatte.

Ich gebe viel von mir Preis, aber eben nicht alles

Auch, wenn ich eine recht offene Person bin die viel von sich Preis gibt, bedeutet das nicht, dass mich die Leser super gut kennen. Oder, dass sie wissen wer ich bin. Ihr wisst nur das, was ich euch von mir zeige, was ich hier schreibe oder was ich in meinen Videos sage. Doch es gibt auch die verletzliche Frau, die manchmal traurig ist, oder wütend oder sensibel oder gar überfordert. Wie jeder Mensch habe ich und andere starke Menschen nicht nur eine Facette. Ich glaube ich spreche für alle, wenn ich sage: Wir würden uns wünschen mit allen Facetten angenommen, akzeptiert und ernstgenommen zu werden. Nur weil wir stark sind und auch so nach aussen wirken, bedeutet das nicht, dass wir nicht auch manchmal Hilfe brauchen oder jemanden der uns zuhört oder tröstet uns in den Arm nimmt, wenn es uns nicht gut geht. Oder, dass uns nichts aus der Bahn haut.

Wir haben nur gelernt, damit umzugehen – zu fliegen, während andere fallen.

4 Gedanken zu „Vom „stark sein“ und Gefühlen“

  1. Liebe Paula,

    ich wundere mich, dass noch kein Kommentar hier steht…
    Genau wie in deinem Beitrag zum Kontaktabbruch zu den Eltern, erkenne ich mich wieder! Vielleicht gibt es auch einen Zusammenhang!?
    Sind wir sehr sensiebel und so als Kind sehr verletzt, lernen wir doch unweigerlich eine „harte“ Schale aufzubauen – nach Außen! Zum Selbstschutz. Und um Anerkennung zu bekommen…zumindest war dies bei mir so! Dann hat man schon mal eine große Klappe und tritt selbstbewusster auf als man eigentlich ist! Das durchschaut aber nicht jedermann,-
    und schon werden einem schon mal Gefühle abgesprochen!
    Meine Stärke ist (unter anderem 😉 ), dass ich keine Probleme habe meine Gefühle auszusprechen!
    Und ist es eine Stärke oder eine Schwäche wenn meine Mimik mich letztlich doch auch immer verrät? 🙂

    1. Liebe Christine,

      wer steht schon öffentlich zu seinen Schwächen? Ja, das mag sein. Aber es passiert meist unbeabsichtigt und wurde in den letzten Jahren viel besser mit dem harten Kern. Das habe ich mittlerweile auch nicht 😀 Ich glaube, dass viele Menschen denken, ach, das hat sie so gut gemeistert, da wird das andere wohl kein Problem darstellen. Ja, wir schaffen evtl. mehr zu meistern, das heisst aber nicht, dass uns nichts aus der Bahn haut.
      Grins, ich kann auch nie verbergen, wenn was los ist..

      Sonnige Grüsse aus Zürich,

      Paula

  2. Was für ein schöner Artikel. Er spricht mir aus dem Herzen! Ich wundere mich manchmal sehr über die Einseitigkeit des Betrachtens von Menschen und der wenigen Reflektion von menschlichen Phänomenen. Nur weil man mal oder häufig so ist, ist man nicht immer so. Das wäre ja auch viel zu langweilig. Aber Menschen, ich nicht ausgeschlossen, denken oft in Kategorien, auch Schubladen genannt, weil es einfacher ist. Schön, dass es Menschen wie dich gibt, die bunt denken und fühlen 🙂

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