Leben am Existenzminimum

Die meisten Menschen, reagieren überrascht, wenn man ihnen erzählt, dass in der Schweiz nicht alle im Wohlstand baden. Ich habe zu dem Thema „Leben am Existenzminimum“  für meine Rubrik „Paula fragt nach“  drei  Frauen befragt.

Hallo Jasmin, magst du dich bitte kurz vorstellen?

Mein Name ist Jasmin, ich bin 54 Jahre alt und lebe in einer Kleinstadt im Thurgau. Gerade lebe ich vom Sozialamt und bin in der IV Abklärung, wegen meiner Krankheit. Ich habe COPD Stufe 3.5 von möglichen 4. Meine Wohnung teile ich mir mit einem Hund und einer Katze.

Wieviel Geld hast du zur Verfügung?

756 CHF, davon muss ich Strom, Billag, Haftpflicht Versicherung und all das bezahlen.  200 CHF noch für die Wohnung, da das Sozialamt nur noch 650 CHF der Miete dran zahlt, aber die Wohnung 850 CHF kostet. Eine günstigere Wohnung zu finden ist aber unmöglich, das sagte auch schon meine Beraterin auf dem Amt.  Am Schluss bleiben 300 – 500 Franken. Ich bin seit 2017 ausgesteuert.

Wie kamst du in die Situation?

Ich habe 50 Jahre im Bündnerland gelebt, bin dort aufgewachsen, bin dort in die Schule, habe eine Lehre als Verkäuferin absolviert, hab aber nachher im Hotelfach geschafft, und zuletzt hatte ich einen absoluten Traumjob bei einer evangelischen Gemeinde. Dann habe ich mich von meinem langjährigen Partner getrennt, er ist ein Narzisst. Er war sehr wechselhaft, mal hat er mich vergöttert, mal hat er mich gehasst. Bis zu Morddrohungen, er drohte sogar den Hund zu erschiessen.

Irgendwann hat mein Sohn und seine Frau dann gesagt, dass es besser wäre für mich, wenn ich dort wegziehe, da mein ehemaliger Partner mir das Leben zur Hölle machte, selbst ein Annäherungsverbot brachte nichts. Ihm war alles egal. Die Polizei half, so gut es ging, aber gegen so einen kann man nichts machen. Ich hatte mich gewehrt, mit allem, was ich hatte, nur der Job hielt mich noch dort, ich habe keine Verwandten mehr.

Schliesslich brach er bei mir ein, ich wohnte im Erdgeschoss, da stand dann fest für mich, ich muss da weg. Mit über 50 bin ich dann umgezogen, Jobmässig ging da gar nichts mehr in der neuen Stadt. Es kam dann raus, dass ich krank bin- unheilbar. Von alle dem Stress mit dem ehemaligen Partner hatte ich auch eine Posttraumatische Belastungsstörung davon getragen.

Hättest du ein Anliegen, oder einen Vorschlag an die Politiker wie man Leuten wie dir helfen kann?

Was ein ganz grosser Punkt ist, was ich 2017 in Sozialhilfe reingerutscht bin, sagte man mir, 850 CHF für die Wohnung lägen drin. Von einem Monat auf den andern hiess es sie zahlen nur 650 CHF! Für das Geld bekommt man doch heutzutage doch nicht mal ein WG Zimmer. In meinem Alter vertrage ich auch keine Menschen mehr und wohin soll ich mit meinen Tieren (Hund & Katze)? Ich verstehe das einfach nicht. Ich probiere jeden Monat was zur Seite zu legen, sei es nur ein 5 Liber. Aber das mit der Miete geht mir einfach nicht in den Kopf. Meine Beraterin ist super, aber sie sagt auch, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist eine günstigere Wohnung zu finden. Sie sagte mir auch, das käme von oben, aus Bern,  die Weisung, da kann man leider nichts machen.

Was fehlt dir besonders?

Das soziale Leben. Ich hatte ein paar lose Bekanntschaften, wir gingen immer zusammen mit den Hunden raus. Irgendwann lag das nicht mehr drin, da sie anschliessend immer was trinken gegangen sind. Ich habe ihnen aber nie gesagt, warum ich nicht mehr mit bin, wohl auch als Scham. Weiss du, ich wohne hier in in der Nähe der Badi. Im Sommer hört man die Kinder, ich kann sie sogar von hier sehen. Ich war früher gern in der Badi, heute kann ich mir nicht mal mehr den Eintritt leisten. Das macht mich schon sehr traurig.

Hallo Iris, magst du dich bitte kurz vorstellen

Ich bin 54 Jahre alt, lebe alleine mit meinem Hund. Ich habe 17 Jahre lang 100% IV Rente bezogen.  Dann hat man mir nach der Zeit gesagt- von heute auf morgen- ich sei  zu 100% gesund. Nachher hat man mir komplett die IV Rente weggenommen.

Warum hattest du die IV Rente bezogen?

Ich musste den Rücken operieren lassen, dann habe ich noch ein künstliches Kniegelenk bekommen und war nicht mehr Arbeitsfähig.

Was hast du vorher beruflich gemacht?

Ich war im Service, ich habe in der Tankstelle gearbeitet, im Technomarkt AG. Ich hatte Freude an meinen Berufen, aber eben der Rücken. Und kein Arzt hat mich ins MRI getan, sonst hätte man das vorher evtl schon bemerkt. Und jetzt nach 17 Jahren hiess es es sei wieder alles gut, nur eben, wer stellt mich schon nach 17 Jahren IV ein, in dem Alter und in dem Zustand?

So bin ich auf dem Sozialamt gelandet. Und eben der Arbeitgeber wird sich ja auch noch fragen, wie lange ich überhaupt noch arbeiten kann. Gesundheit wird mit dem Alter nicht besser, eher im Gegenteil. Man hatte ja auch das Gefühl ich könnte arbeiten, weil ich ja auch Hunde gezüchtet habe, aber eben.

Wie lange hast du das gemacht?

Sehr lange, von Anfang an. Ich wollte meinen Eltern etwas beweisen, dass ich wer bin, dass ich was kann. Ich wollte eine Lehre machen, Als Coiffeuse aber das ging nicht vom Rücken aus, dann war ich sehr an Elektronik interessiert, aber meine Eltern liessen mich nicht. Mit den Hunden konnte ich ihnen was beweisen. Beruf ist ja auch ein Stück Identität und ich wollte wer sein.

Meine Eltern sagte mir nämlich immer: „Du bist nichts, du kannst nichts!“ So hatte ich die Hunde, ging mit ihnen auf Ausstellungen und hatte Erfolg. Die Hunde wurde auch sehr alt, bis zu 15 Jahren, das ist viel für Schäferhunde. Aber auch das reichte ihnen nicht.

Wie viel hast du im Monat zum leben?

1900 CHF wird mir ausgezahlt, davon gehen Miete, Rechnungen, Medikamente für den Hund usw.ab. Das Medikament für den Hund hole ich aber in Deutschland. Zum Schluss bleiben ca 400 CHF für uns übrig. Und ich habe noch ein Auto, ich bin drauf angewiesen.

Wie überlebt man mit 400 CHF im Monat?

Man kann halt nirgendwo hin. Man ist vom sozialen Leben ausgeschlossen. Ich gehe in Deutschland mit einem Kollegen einkaufen. Wir fahren einmal im Monat raus, dann lasse ich mir auch die MwSt retour geben. In den grossen Discountern gibt es x verschiedene Suppen in der Büchse, die sind sensationell gut und vor allem günstig, das ist kein Vergleich zu der Schweiz. Ich muss eben sehr drauf achten, vieles ist schon heruntergesetzt. Man lernt damit umgehen mit dem was man hat.

Wenn du dir etwas wünschen könntest von der Politik oder den Menschen, wie könnte man Leute die am Existenzminimum leben helfen? Denn ich habe das Gefühl, wenn man krank wird oder alleinerziehend wird rutscht man automatisch in diese Situation.

Das ist definitiv so und das finde ich himmel traurig. Ich würde mir von der Politik wünschen, dass man weniger den Flüchtlingen gibt, die sowieso nicht dankbar sind. Die motzen an allem rum und wir Schweizer sind wenigstens Dankbar. Ich bin kein Fremdenhasserin, ich habe gute Kollegen aus diversen Ländern. Aber ich finde man muss mehr auf das eigene Volk schauen.

Hallo Sofia, magst du dich vorstellen bitte

Ich bin 33ig, alleinerziehend seit dem 3. Monat Schwangerschaft  mit dem kleinen. Meine Jungs sind 7&10 Jahre alt und sehen ihren Papa meist alle 14 Tage.

Was machst du beruflich?

Ich arbeite stundenweise als Küchenfee. Bin aber schon Jahre auf Jobsuche um etwas festes zu bekommen was mehr Stunden gibt und somit mehr Lohn. Ich möchte weg vom Sozialamt.

Findest du, man hat als Mutter genug Unterstützung?

Nein! alleinerziehende fallen durch alle Raster. In der Arbeitswelt soll man möglichst flexibel sein und das geht nicht mit der Kinderbetreuung… ausser man bezahlt viel und das wiederum geht nur wenn man genug verdient.

Unterstützung kommt also von niemanden wirklich?

Wenn keine Familie im Hintergrund ist nein.

Die ist bei euch nicht gegeben?

Mein Vater arbeitet, die “Schwiegermutter” wohnt zu weit weg. Nein Familienhilfe gibt es keine.

Wo müsst ihr überall einsparen?

Urlaub, Kleider, auto (keins vorhanden), Ausflüge (Kino, Badi, Glace essen gehen), Hobbys, Möbel, essen… eigentlich überall.

Wieviel CHF habt ihr zur Verfügung?

3100.- wovon 1380.- für die Miete weg geht.

Wie gehen deine Kinder damit um und wie fühlst du dich dabei?

Sie fühlen sich auch schlecht dabei, wissen aber das es uns immer noch besser geht als vielen anderen menschen auf der Welt.

Zahlt der Vater denn für die Kinder?

Ja regelmäßig… aber nicht von Anfang an freiwillig

Theoretisch müsste er mehr bezahlen da er inzwischen mehr verdient. Aber solange ich Sozialhilfe habe “nützt” es eh nichts finanziell gesehen

Was müsste sich deiner Meinung nach ändern für Alleinerziehende Mütter? Was würdest du dir wünschen?

Arbeitsplätze die mit Kinderbetreuungs Zeiten machbar sind. Mehr vernetzen untereinander und sich unterstützen. Oder Jobsharing wobei man sich die Kinderbetreuung teilen kann..

Möchtest du zum Schluss den Menschen noch was mitteilen?

Ich wünsche mir mehr Verständnis für alleinerziehende. Und mehr Empathie und Rücksichtnahme zwischen allen menschen. Einmal mehr versuchen sich ins gegenüber hineinversetzen schadet niemandem.

10 Gedanken zu „Leben am Existenzminimum“

  1. Es ist leider wirklich so, dass es unter uns CH viele Leute gibt, die sich so irgendwie durchwuseln müssen 🙁
    Vorschlag: Jeder Leser überweist jeder der 3 Frauen jeden Monat einen Fünfliber….. den kann jeder entbehren!
    Ich bin dabei!!
    Alles Gute euch

  2. Es ist leider tatsächlich so, dass sich viele CHer im eigenen Land irgendwie „durchwuseln“ müssen 🙁
    Vorschlag: Jeder Leser hier überweist jedem der 3 Frauen jeden Monat einen Fünfliber…. ICH bin dabei!!
    Alles Gute euch

    1. Ja, so eine Aktion habe ich mir tatsächlich auch überlegt. Ich bin mir aber nicht sicher, wie es sich dann verhält, ob sie das angeben müssen und es mit verrechnet wird 🙁

  3. Da wäre ich für „clever“ sein 😉
    Es müsste doch Wege geben, diesen Frauen etwas zukommen zu lassen, ohne dass wir sie damit gleich wieder „bestrafen“!
    Vielleicht liessen sich auch materielle Wünsche (Kleider, Esswaren, etc.) erfüllen?

  4. Ok, endlich eine Seite, die das Thema anspricht. Die Comments sind zwar empathisch, aber 5 Stutz monatlich der Leser wirkt wie ein Tropfen auf dem heissen Stein und hülfe (!) nicht wirklich. Almosen ist das letzte, was man in dieser Situation will. Besser wäre es, wenn schon die Kids in der Oberstufe bzw. in der Lehre (Fach Wirtschaft & Recht) vom „Existenzminimum“ lernen, dass diese nach der Lehre 3 – 6 Monate „praktische Erfahrungen“ mit dem Existenzminimum machen. Denn dann würden sie ernüchtert davon, was es wirklich heisst, unten durch zu gehen. Auf die Politik ist kein Verlass, weil immer noch die FDP das Sagen hat und die Wirtschaft eben auch so brummt – ohne die Sozialschwachen. Warum ich das schreibe? Weil ich selbst betroffen bin, den sozialen Abstieg erlebt habe: von der CEO-Assistentin zur IV-Rentnerin, mit MItte 50, alleinstehend, ohne Familie oder Freunde. Zu alledem wurde noch mein Hund überfahren, um den ich in meiner Wohnung (Tierhaltung verboten) kämpfen musste. Ferien, Kultur & sogar Kleidung liegen im Budget nicht drin. Auf Pump leben – Kreditkarte – und dann abbezahlen, wovon? Wenn ich mich oute, schauen mich alle blöd an und meinen: „Sie sind frühpensioniert? Wieso denn? So voller Energie und up-to-date?“ Ich schäme mich dafür, kann aber nichts an der Situation ändern. Reserven (Erbschaft) wurde mir vom Sozialamt, als ich ausgesteuert wurde, genommen. Und jetzt, wie weiter? Ich fühle mich lebendig begraben, scheine auf den Tod zu warten. Nachbarn und flüchtige Bekannte zeigen keine Empathie; niemand schert sich um jemanden, der einst „ganz oben“ war und jetzt in dieser Situation. FAzit: Politiker (SP) können sich noch lange für die Sozialschwachen einsetzen, aber wenn’s ums Geld geht, hört alles auf. Dîe vielen Sendungen auf SRF….alles nur Luft, blabla. Keiner, dem es gut geht, kann sich nämlich in die Situation der Betroffenen hineinversetzen. Bitter vor allem, wenn Ferienzeit ist und viele mit ihren Trolleys sich daran machen, abzuheben…

  5. Was ich wirklich komisch und auch mehr als dämlich an der schweizer kultur… Ich weiss nicht ob es das auch in anderen ländern gibt…

    Die eigenart immer auf leuten rum zu hacken denen es schlechter geht als einem selbst. Oder auf solchen denen es gerinnfügig besser geht als einem selbst. Und das ist nicht die ausnahme sondern die regel!

    Ein beispiel gefällig?! Iris die hier Interviewt wird. Selbst am existenzminimum aber auf flüchtlinge rumhacken.

    *zitat Ich würde mir von der Politik wünschen, dass man weniger den Flüchtlingen gibt, die sowieso nicht dankbar sind. Zitat ende*

    Ist nur eines von sehr vielen beispielen.
    Die schweiz hat eine kultur von hass und neid.

    Ich bin selbst betroffen, habe eine iv-rente mit ergänzungsleistungen und lebe ebenfalls am existenzminimum. Mir geht es vielleicht noch ein wenig besser als manch anderen. Trotzdem käme mir nie in den sinn auf anderen denen es weniger gut geht oder gerinnfügig besser rum zu hacken.

    *Hasserfüllte neider* euch wird es unter garantie nicht besser gehen wenn es anderen schlechter geht.

    Wenn wir wirklich was änderen wollen müssen wir einander helfen und für einander einstehen. *stichwort solidaritätsgemeinschaft* Eine politische stimme bilden, eine lobby oder sogar eine partei.

    Aufeinander rum zu hacken fürt nur zu einer verschlechterung für alle.

    1. Als jemand der schon in vier verschiedenen Kulturen gelebt hat, kann ich dich beruhigen, alle hacken auf dem rum, dem es noch schlechter geht als einem selbst. Ich habe das bewusst so stehen gelassen, auch wenn ich Ihr Meinung nicht teile.

      Schön geht es auch anders. Du und ich sind der Beweis.

      Weiterhin alles Gute!

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