Kontaktabbruch zu den eigenen Eltern – Warum rede ich darüber?

Einige von euch werden sich sicher mal gewundert haben, warum ich die letzten zwei Wochen beim WDR und beim SRF mit dem Thema zu Gast war. Vielleicht fragt man sich, warum ich mit dem Kontaktabbruch zu den eigenen Eltern, so in die Öffentlichkeit stürme und was ich damit bezwecken möchte. Als erstes: Nein, ich bekam dafür kein Geld. Zweitens: Ich möchte auch kein Mitleid, oder als Opfer gesehen werden. Oder sonst irgendeine spezielle Behandlung. Ich bin immer noch der Mensch der ich war, bevor ich mein Schweigen brach und möchte auch so behandelt werden.

Wir müssen darüber reden, immer und immer wieder

Doch wir müssen darüber sprechen. Auch, wenn manchen das so absurd vorkommt, weil sie es nicht glauben können. Weil man die Opfer nicht ernst nimmt, genervt reagiert, ziehen sich die meisten immer mehr zurück und lassen andere noch weniger an sich ran. Wir müssen darüber sprechen können – offen. Weil es immer noch genug Kinder und erwachsene Kinder gibt, die durch die Hölle gehen. Voll mit Schuldgefühlen, voll mit Schamgefühlen und mit dem Gefühl verantwortlich zu sein für das Glück der eigenen Eltern. Es gibt Eltern die haben ein Alkoholproblem, andere haben psychische Probleme, andere schlagen ihre Kinder oder misshandeln sie psychisch. Es ist nicht immer Sichtbar, deswegen sollte man Hinweise auch ernst nehmen, statt sie abzutun. All diese Kinder und erwachsene haben ein Recht darauf zu wissen: Du bist nicht schuld. Du bist nicht verantwortlich für das Glück deiner Eltern. Du bist nicht verantwortlich für die Situation in der du dich befindest mit deinen Eltern, wenn sie dir weh tun. Und vor allem: Du musst dich schützen, wenn man dir körperlich oder seelisch weh tut. Egal wie alt du mittlerweile bist.

Hilfe holen

Du brauchst kein schlechtes Gewissen haben, wenn du dir Hilfe holst. Du brauchst dich auch nicht schuldig fühlen, auch wenn man dir das dein Leben lang erzählt hat. Jeder hat ein Recht auf Unversehrtheit. Jeder hat ein Recht auf ein glückliches Leben. Es ist keine Familiensache, was man dir zuhause antut, sei es körperlich oder seelisch. Vertrau dich jemandem an,einem Freund, einem Lehrer, einem Psychologen, suche Hilfe. Niemand wird dich auf der Strasse stehen lassen, wenn du noch zu Hause wohnst. Es gibt Stellen, die helfen dir, frage bei der Telefonseelsorge anonym nach, wenn du dich noch nicht traust offen mit jemandem darüber zu sprechen. Dort kannst du jederzeit anonym anrufen und dich aussprechen. Du wirst niemanden aus seiner Sucht retten können, es macht dich zum Co Abhängigen, der den Süchtigen schützt. Es macht allerdings auch dich und deine Seele  kaputt.

Nicht weg sehen!

„Was die anderen machen geht mich nichts an!“ Das werden sich viele Nachbarn gedacht haben, während kleine unschuldige Kinder in so manchen Wohnungen misshandelt wurden, manche starben sogar. Es geht uns wohl was an! Wenn Eltern ihre Macht missbrauchen. Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln, oder sie vernachlässigen. Es geht uns wohl was an als Pädagogen, wenn das Kind immer müde ist, dreckig, oder übersät von blauen Flecken. Wir alle stehen in der Verantwortung nicht weg zu sehen, Hilfe anzubieten. Das Vertrauen der Opfer zu gewinnen. Ihnen Wege aufzeigen die sie gehen können! Ich finde es ja jedesmal erschütternd, wenn Nachbarn und Familienmitglieder sagen, sie hätten nichts mitbekommen. Man schaut meist weg, um sich ja keine Probleme zu machen, weil es nicht das eigene Kind ist, oder die eigene Familie. Auch bei mir sah man weg, ich war meistens auf mich alleine gestellt. Obwohl es durch den immer währenden Streit in unserer Wohnung kaum zu überhören war, dass etwas nicht stimmte.

 

Du bist kein schlechter oder böser Mensch, wenn du dich schützt!

Viele schrieben mir die letzen zwei Jahre bezüglich des Kontaktabbruchs. Auch heute fiel die Frage, woher ich den Mut und die Kraft genommen habe. Ich weiss es nicht, ich weiss es wirklich nicht. Ich denke aber, der Leidensdruck war so gross und der Wunsch nach einem schönen Leben auch, dass mir keine andere Wahl blieb. Die Einsicht, dass sich nie etwas ändern würde und ich nicht bis an mein Lebensende das Drama und das Leid mitschleifen möchte. Das Leben ist zu kurz, um sich seelisch und körperlich weh tun zu lassen, auch wenn es die eigenen Eltern sind.

Was denken denn die anderen?

Was die anderen denken, ist grundsätzlich ihr Problem. Wenn man sich erst mal von der Schuld die einem angehängt wird frei gesprochen hat, wenn man erkennt: Ich bin nicht schuld, dass ich so behandelt worden bin. Dann kann man den ersten Schritt Richtung Genesung tun, sicher, man wird nicht vergessen was einem angetan wurde. Aber man kann einen Schritt Richtung Zukunft machen, einen Schritt in ein glückliches Leben. Mir hat es damals sehr geholfen eine Therapie anzufangen, auch um mein Verhalten in gewissen Situationen zu verstehen. Denn wir bleiben das Produkt unserer Erziehung, doch wir entscheiden, so weit es geht, wie wir in Zukunft damit umgehen wollen. Was für eine Art Mensch wir sein wollen. Ich weiss, es ist ein grosser Schritt sich umzudrehen und zu gehen, es ist auch ein grosser Schritt darüber zu sprechen. Doch nur, wenn man das Problem benennt, und erkennt kann man es lösen. Und es ist ein Problem, wenn man Opfer von Gewalt jeglicher Art wird, erst recht, wenn der oder die Täter die eigenen Eltern sind.

Sie haben uns unsere Kindheit genommen, doch unsere Zukunft bestimmen wir!

Ich möchte mit allem, was ich bis jetzt in die Richtung getan und gesagt habe, den Menschen Mut machen. Und der Gesellschaft einen Punkt zum Nachdenken geben. Damit wir in Zukunft unverkrampfter mit dem ungemütlichen Thema umgehen können. Ich möchte Menschen, die ähnliches erlebt und durchgemacht haben zeigen: Es gibt ein Leben nach dem Kontaktabbruch, dass es wert ist gelebt zu werden. Und, dass es besser wird. Ich möchte vor Augen führen, dass jeder das Recht hat sich zu schützen und sich nicht dafür schlecht oder schuldig fühlen muss.

Wann die Sendungen ausgestrahlt werden, teile ich euch mit, wenn ich es weiss.

16 Gedanken zu „Kontaktabbruch zu den eigenen Eltern – Warum rede ich darüber?“

  1. Ja, Du mir auch. Ich habe all die Jahre immer wieder mir sogar Vorwürfe anhören müssen, weil ich mich selbst schützen muss.
    Alleine als Du gesagt hast das Du schlechte Beziehungen geführt hst, weil du das nicht gelernt hast – ich dachte, ich rede dort. Ich bin dir dankbar das Du das so offen tust!

    1. Es freut mich, dass es Dir und anderen nützt. <3 Tut mir leid, dass Du ähnliches durchlebt hast...doch niemand hat das Recht Dich oder mich für unsere Entscheidung zu verurteilen! Man verurteilt ja auch nicht die Opfer die ihren Peiniger nicht noch zum Dank umarmen.

  2. Hallo Paula,

    ich habe Dich gestern bei „FrauTV“ gesehen und meisterst Deinen Weg prima. Ich gehe denselben Weg ebenfalls seit drei Jahren und meide den Kontakt zu meiner Mutter, die zuletzt noch versuchte, mich zu töten.
    Du bist nicht allein. Hier noch ein schöner Link, der mir damals die Augen öffnete. Keine Ahnung, ob Du ihn kennst.
    http://www.narzissmus.org

    Tut mir leid, aber aus Angst vor meiner Mutter bleibe ich anonym.

    Liebe Grüsse in die Schweiz,
    D.

    1. Hallo!

      Oh, das ist schockierend sowas zu hören, aber freut mich, dass es Dir nun besser geht. Danke. Du bist auch nicht allein <3
      Danke für den Link.

      Sonnige Grüsse aus Zürich,

      Paula

  3. Liebe Paula,

    vielen Dank für deinen Beitrag bei Frau TV, der bei uns am 06.04.2017 im WDR ausgestrahlt wurde.

    Was du erzählt hast, konnte ich zu 100% nachempfinden und freue mich, dass du deinen Weg raus aus dieser seelischen Abhängigkeit gefunden hast.

    Diese Befreiung wünsche ich mir auch für mich und hoffe, dass ich diesen Schritt eines Tages gehen kann.

    Danke, dass du bereit bist offen darüber zu sprechen. Ich denke, der Zuspruch ist sehr groß, was zeigt, wie viele Menschen davon betroffen sind und dem ein oder anderen wird es helfen sich aus diesem Strudel der Emotionen zu lösen.

    Ich wünsche dir alles Gute!

    Beste Grüße

    Coco

  4. Hallo,
    ich bin 47 Jahre und fange erst an zu begreifen, dass ich nicht einfach nur empfindlich, launisch und schwierig bin! Seit 3 Jahren habe ich den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen und ich bin unendlich traurig, dass sie das so hinnimmt. Ich hätte mir gewünscht, sie würde einmal um meine Gunst kämpfen! Aber in ihrem Empfinden bin wohl wieder ich es, die verantwortlich ist für unser schwieriges Verhältnis. Dieses Beziehungsmuster schleppe ich mein Leben lang schon mit mir mit! Und deswegen danke ich allen, die offen über dieses Thema sprechen,- das macht mich stark!
    Dein Beitrag bei FrauTV im WDR hat mich auf diese Seite gebracht. Du hast tolle,einfach treffende Worte gefunden! Der anschließende Beitrag über die verlassenen Eltern hat mich bestätigt: Sie können nicht begreifen!
    Schade.
    liebe Paula, mache weiter so!

  5. Liebe Paula,

    vielen herzlichen Dank, dass du mit dem Thema an die Öffentlichkeit gehst. Es gibt so viele Kinder denen es so geht. Man kämpft immer mit den anderen, die so einen Bruch nicht verstehen können.

    Auch ich habe mich vor 5 Jahren endgültig von meinen Eltern „scheiden“ lassen. Ich wollte heilen und ein gesundes Leben führen. Es blieb mir wie dir auch keine andere Wahl.

    Ich wünsche dir alles Liebe
    Yvonne

  6. Liebe Paula, deinen Auftritt bei frauTV habe ich gerne angeschaut, sehr souverän und reflektiert! Ich habe den Kontakt zu meinen Eltern bereits vor 15 Jahren abgebrochen, weil es – genau wie bei dir – einfach nicht mehr ging und der Leidensdruck zu groß war. Leider habe ich mich trotzdem nie wirklich von allem befreien können, auch wenn mein Leben in vieler Hinsicht deutlich einfacher geworden ist. Und so offen und klug gesprochene Worte im Fernsehen tun sehr gut zu hören. Viele Dank dafür!

  7. Ich habe leider trotzdem das Gefühl, dass in dieser WDR Sendung bei der Sichtweise der Eltern extrem auf die Tränendrüse gedrückt wird, so als seien die Eltern die wahren Opfer und die Kinder eben undankbar. Völlig ohne Verständnis warum die Kinder gegangen sind. Es muss tatsächlich sehr viel passieren, bevor man diesen Schritt als Kind geht.

    1. Nun ja, das ist dein Eindruck, den dir niemand nehmen kann. Andere sehen das vielleicht anders, aus ihrer Wirklichkeit heraus. Ja, das muss es. Aber das will man teilweise nicht anerkennen.

      Alles Gute

  8. Hallo Paula,
    ich bin 60 und Vater eines Sohnes und einer Tochter (heute 27 und 24). Also spät. Umso glücklicher war ich als beide zur Welt kamen.
    Ich hätte es nie gedacht. Das was ich zu Beginn schreibe gilt nicht dem Zweck des (Selbst-) Mitleids oder ähnliches. Es dient nur der Info und als Vorrausgang was passiert ist.
    In Stichworten.
    noch 5 Geschwister, ich mitten drin, Vater Alkoholiker (Grund unter anderem mit 16 Jahren Krieg, Mutter 1946 Vergewaltigung durch einen Arbeiter Herkunft egal,, sie wurden von Ihren Familien nicht anerkannt.)
    Als ich 8 war, Mutter in der Dämmerung Ende Okt. 1966 überfahren. Sie Lebte noch. Vetuschung durch alles Gegenstände einschl. unserer Mutter, dadurch Genickbruch.
    Alle Geschwister wurden getrennt. Nur ich wurde von 3 Verwandten nacheinder abgelehnt. Ich sah sie über 12 Jahre nicht mehr. Nonnen hatten mir Besuchssperren gegeben. Ich erlebte Gewalt sowohl sexuell, körperlich , seelisch psychisch, mit Gegenständen, Ertringungsrituale, Teufelsaustreibung, und vieles mehr, was sich keiner vorstellen kann. Trotzdem sage ich es gibt viel schlimmere Fälle.
    Kaum war das schlechte Weisenhaus geschlossen genoss ich eine antiautiritäre Erziehung. Für mich schlecht. Ich bekamm in keinen Entwicklungsphasen eine Strukur. So blieb ich allein. Das ich eine bzw. 2 Frauen fand. Reines Glück.
    Ich schreibe später in meinem eigen Blog.

    Thema Kinder.
    Ich als Vater hatte als Hausmann zunächst das alleinige Aufenthaltsrecht. Mir war der Kontakt zu den Kinder immer wichtig, sowohl das ich den Kontakt halte, aber weil ich ohne Mutter aufgewachsen sollte deren Mutter ebenfalls den Kontakt halten. Somit förderte ich dies über ein Jahr. Ein 3/4tel Jahr später wurde mir etwas vorgeworfen, was ich mit meiner eigenen Vergangenheit in meinem Gehirn gespechert war. Es wurden bis heute komplexe posttraumatische Belastungstörung diagnostiziert. Trotz der Zurücknahme habe ich bis heute Angst im Umgang mit Kinder. Nicht vor Kindern.

    Somit geschah was ich nie dachte. Die Kinder gingen zu ihr und ihrem neuen Partner (Chef). Ich wurde soviel wie es ging suptil vor den Kindern Entfremdet. ( Nie direktzu den Kindern, aber sie bekamen es mit.) Ich hingegen war auf der einen Seite Hilflos und Sprachlos, weil ich den Streit nie vor den Kindern wollte. Ich gelte als Warmduscher. Sie brauchte wohl nicht viel dafür, um mich auszubooten. Und ich wieder habe auch nicht mit Rückzuf reagiert. Doch och hatte einen Fehler gemacht. Ich wollte den Kindern damals 12, 9. mt einer DVD erklären, warum ich nicht mehr kommen kann. Schon am nächsten Tag bereute ich es und rief die Kindesmutter an. Es war zu spät. Erst 1 1/2 Jahre später kam es zu einem negative halbstündigem Gerichtverfahren des Umganss entsprechend. Die Kinder wollzrn nicht mehr. Ich wurde nur 2 Minuten gehört. Die wartenden Kinder wurden mir con dem Patchworkvater weggezogen und sah sie danach nie wieder. Meine Tochter ist es ebenfalls krank.

    LG an alle Kinder. lebt euer eigenes Leben. Ist der andere Elternteil vernünftig, versteht er es. Das heisst aber nicht kein Kontakt. Immer versuchen zu reden und die Wünsche langsam „verwerten“
    Aber vor umgekehrt an splche Menschen wie mich.
    LG Hugo

  9. Ich selbst kenne es auch noch (Jahrgang 1999) das ich von der Mama was auf den Hintern bekommen habe.Bewusst war mir nie das es verboten war, ich habe es als Autorität wahrgenommen. Ohrfeigen habe ich nie bekommen.
    Kenne den Reflex das ich mir auch immer nach dem ich auf den Po bekommen habe, mit beiden Händen den Hintern gehalten habe. Das ist ein Tick den ich sogar heute noch mache bei z.B. Kritikgesprächen. Oder aber beim Hosenkauf das ich mir über den Po fahre und schaue ob sie passt. Hat meine Mutter immer gemacht, das sie bloß am Po gut sitzt.
    Es gab im Alltag ständig Klapse und wenn ich nicht spurte gab`s auch den Arsch voll (so hieß es bei uns). Besonders vorm Kochlöffel hatte ich so Angst.
    Ich spüre den Schmerz heute noch, immer wenn ich daran denke und die Gedanken lassen mich einfach nicht los.

    1. Liebe Maike

      Danke für dein Vertrauen. Das klingt schrecklich, tut mir leid, dass du so etwas erleben musstest. Ich hoffe du findest eine Möglichkeit das alles hinter dir zu lassen.

      Fühl dich gedrückt,

      Paula

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