Etwas zwischen Schulterzucken und wütend

Wasseroberfläche

„Mütend“

Das ist eine Wortkreation, die ich von Twitter kenne, wer sie genau ins Leben gerufen hat kann ich leider nicht sagen. Mütend ist ein Gefühl zwischen müde und wütend. Irgendwie trifft das auf viele zu, ein wenig auch auf mich. Wobei, ich habe mir viel am Hintern vorbeigehen lassen in den letzten zwei Jahren. Wirklich. Deswegen war es hier auch so ruhig. Ich habe mich auf mich selbst konzentriert und die Welt so gut es ging ignoriert. Na ja zumindest fast. Zumindest war ich nie so wütend, dass ich herkam zum schreiben.

Jedes Mal, wenn ich dachte „komm, lösch den Blog, du hast eh keine Lust mehr, den zu führen“ kamen E-Mails von Menschen, die mir sagten, wie sehr ihnen meine Worte geholfen haben. Tja. Ich glaube nicht an Schicksal, aber irgendwie kann ich das nicht ignorieren. Weil es nicht nur einmal geschah in den letzten zwei Jahren, in denen hier tote Hose herrschte.

So here we are

Im frischen Gewand, mit neuen Erkenntnissen und einer grossen Portion mütend.  Versteh mich nicht falsch, mein Leben ist seit 2 Jahren wunderbar. Ich habe mir eine Welt erschaffen, in der es mir an nicht fehlt. Isolation stört mich nicht, ich habe in meiner Wohnung nahe am See alles, was ich brauche, zum glücklich sein. Ab und an sehe ich auch Freundinnen. Beruflich bin ich abgesichert, meine Coachingtätigkeit nimmt langsam Fahrt auf und meine Weiterbildungen gehen auch weiter, als wäre Corona nicht da. Falls es wen interessiert: Ich bin geboostert. Mir fehlt es an nichts, ich bin so gesund in den letzten 2 Jahren gewesen wie noch nie in meinem Leben.  Vielleicht hat mich mütend auch etwas bequem gemacht. Zu bequem.

WTF ist los mit manchen?

Und auch du weisst schon, was ich sagen möchte, so mitten in einer Pandemie, in denen Krankenhäuser attackiert wurden durch Impfgegner und linke gemeinsame Sache machen mit Rechtsradikalen. Darauf einzugehen habe ich aber keine Lust, ich kann mit dem Kopf schütteln, wie viele plötzlich Virolog:innen wurden, Spezialist:innen für Impfstoffe, Ärzt:innen und was auch immer. Aber mehr als ein müdes Kopfschütteln inklusive Schulterzucken habe ich leider nicht mehr übrig. Mir tun die Pflegekräfte leid und dann wiederum nicht, weil der Pflegenotstand keine neue Sache ist. Ich bin mütend.  

Verstehe nicht, dass man sich da und auch in den sozialen Berufen nie so organisieren konnte, dass es zum Streik kommt, damit sich etwas ändert. Ein grosser Streik, nicht das wischiwaschi was so lief in der Vergangenheit. Jaja, Verantwortungsgefühl und Konsequenzen. (Aber auch Helferkomplexe, geringes Selbstwertgefühl und Aufopfern bis zur völligen Selbstaufgabe.) Ich weiss, es ist alles nicht so einfach. Nur eben, so nutzt man weiterhin schon gebeutelte Menschen aus bis zum Burn-out. 

Triage? Ich zucke mit den Schultern. Ich kann nichts mehr anderes, im Angesicht der ganzen Tragödien die sich abgespielt haben in den letzten zwei Jahren. Ich bin abgestumpft. Weil ich auch nicht wüsste was  frau noch tun kann um da irgendwas zu reissen.

Schulterzucken, mehr habe ich nicht mehr übrig

Und es tut mir ehrlich gesagt nicht leid. Ich habe es aufgegeben mit Impfgegnern zu sprechen, wie ich aufgegeben habe mit rassistischen Menschen Diskussionen zu führen.  Also schaue ich auf mich, auf meine mentale Gesundheit, auf meine Ressourcen und auf mein Umfeld. Wie viel Hoffnung ich anfangs hatte, das die Welle der Solidarität anhält, Menschen enger zusammenwachsen und wir das alle gemeinsam durchstehen. Denn im Grunde habe ich immer noch die Hoffnung das die Menschen gut sind.

Dikatur? Nope. 

Die Politik spaltet nicht, so wie viele das meinen. Es sind vereinzelte Menschen, die den Ernst der Lage nicht begreifen und auf ihre persönliche Freiheit pochen die spalten. Diese Menschen die sich auf Demos echauffieren, dass man ja in einer Diktatur lebe, wo man nichts mehr sagen dürfe. Diese Hohlbirnen, die trotz Verbote die Einzigen waren die irgendwelche Demos laufen durften ohne gross von der Polizei behelligt zu werden. Wie trotzende Kinder in der Autonomiephase, die nicht über ihren Tellerrand hinaussehen können. Die nur sich sehen. Sich und ihre Weltsicht.

Die was erzählen von Diktatur, aber ihr Maul nicht mehr zubekommen, wenn sie jemanden wie mich vor sich stehen haben, der ihnen dann von einer echten Diktatur erzählt. Also Nein, Hannes, du lebst in keiner Diktatur, es ist eine Beschissene Pandemie und mir geht echt die Geduld aus. Glaub das ist auch der Grund warum ich da auf Abstand gehe, zu jedem der so unterwegs  ist. Ich habe Angst das mir die Nerven durchgehen.

Klar, niemand kann etwas dafür, wenn die Intelligenz nicht ausreicht um komplexe Sachverhalte zu verstehen, nicht nur in der Pandemie. Das schlimme ist aber, dass diese Leute oft auch die Faktenlage nicht hören wollen, wenn sie sich erst mal ihr eigenes Bild zusammengesponnen haben. Da hilft alles Reden nicht um Fakten, das ist auch wissenschaftlich belegt. Also ja, wer keine Nerven mehr hat, und mütend ist, der resigniert.

Dem bleibt nichts mehr übrig als Schulterzucken. Oder wie sagte der buddhistische Mönch zu mir damals im Schweigeretreat: „Manchmal muss man die Dinge einfach durch sich hindurchfliessen lassen.“

In dem Sinne, gönne ich mir nun einen großen Schluck Wasser und lehne mich zurück. Was kommt das kommt. Zumindest in dieser Sache.

(Anmerkung für die deutschen Leser:innen: Maul ist in der Schweiz alltagsgebräuchlich für Mund. Ja, so wie du gerade hab ich anfangs auch geschaut!)

6 Gedanken zu „Etwas zwischen Schulterzucken und wütend“

  1. das Maul ist auch im Schwäbischen geläufig, die Bayern sagen Fotze oder Fotzn…
    Liebe Paula,
    du sprichst mir aus der Seele. Schön, von Dir wieder was zu lesen. Hat es am See noch ein Plätzchen frei?- Ich werde ab Sommer mein Geld von der Rentenversicherung bekommen und bin auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen!

    1. Zum Glück hat das damals in Franken keiner zu mir gesagt, dort heisst es „Goschn“ lol. Whoop whoop! Endlich raus aus dem Hamsterrad! Stäfa hat immer wieder Wohnungen frei, ob am See ist so ne Sache, die sind heiss begehrt. Soll ich mich mal für dich umsehen?

  2. Danke für diesen ruhigen, dennoch klaren Text. Zwei kleine Anmerkungen: ich bin sicher, dass hier nicht links vor den rechten Karren spannen lässt. Es dürfte sich eher um Menschen handeln, die womöglich esoterisch veranlagt sind, sich bisher von ihren Brüdern vom Stammtisch distanziert haben und sich ihr ungebildetes Weltbild als links herbeigeträumt haben.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass das Maul zB in Bremen als vulgär gilt, aber bei uns in Ostwestfalen wird das auch ganz normal benutzt. Und hier kommt ja bekanntlich die deutsche Sprache wech. Hannover war nur ein Irrtum.

    1. Lieber Dietmar

      Natürlich sind nicht alle Linken gemeint. Aber die, die dort mitlaufen, schockieren mich dann trotzdem und jeder Einzelne ist einer zu viel. Die Esoterik erlebt gerade eh einen Boom, so wie immer, wenn die Zeiten unsicherer werden als sonst. Man behält sich so die Kontrollillusion, Gleiches bei Horoskopen.

      Das mit dem Maul finde selbst ich unangebracht, aber da erschien es mir passend. =)

      Liebe Grüsse,

      Paula

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